Genre: Progressive Death Metal
Punkte: 7/9
Laufzeit: 66:42
VÖ: 25. Mai 2012
Label: Massacre Records
Ganze sieben Jahre nach ihrem Debut “Vast” von 1995 und nach mehreren, einschneidenden Veränderungen im Line-Up der Band kommt nun das zweite Album der portugiesischen Band Disaffected auf den Markt.
Das Feld des Progressive Death Metals ist weit, und die Schublade lässt sich weit aufziehen, und so ist es auch hier: Die Scheibe hält einige Überraschungen und Wendungen bereit, die normalerweise das Herz eines jeden “Proggers” höher schlagen lassen,
aber dazu gleich mehr. Das erste, was man zu hören bekommt, ist das Intro “Mankwala”, ein Stück, was ich so noch bei keiner Metalband gehört habe. Tribalsounds mischen sich mit harten Elektroklängen, was so ganz untypisch ist und auch in den restlichen Stücken der CD nicht verfolgt wird. Schade, denn das ist ein echter Ohrenöffner!
Nahtlos geht es weiter. Disaffected verstehen es deutlich, den progressiven Touch ihrer Stücke herauszuheben. Phrygische und mixolydische Skalen, mitunter auch dissonant-zweistimmig, schwer auszählbare Riffs und Takt- und Stimmungswechsel gehen eine Mischung ein, wie man sie nur selten zu hören bekommt. Auch die Instrumentation weicht angenehm vom üblichen Death Metal-Bereich ab: Streicher, Orgelsounds und Klavier liefern eine harmonische Basis, auf der sich die Gitarren, Bass und die Key-Synths rhythmisch und harmonisch austoben können. Die Drums, die sich bei manchen progressiven Bands gerne mal in den Vordergrund drängen, sind hier angenehm unterstützend und bilden das Grundgerüst, nicht ohne auf Blastbeats zu verzichten.
Besonders hervorzuheben sind meines Erachtens drei Stücke: Erstens “C.ult O.f M.y A.shes” mit 9:47 min Laufzeit das längste Stück der CD, das einen Überblick über die gesamte Variationsbreite von Disaffected liefert und nach mehrmaligem hören zum Ohrwurm geht, zweitens “Dreaming III – A Nightmare” wegen der wundervoll ruhigen Zwischenparts, die den Ohren Gelegenheit zum Ausruhen geben, nicht zuletzt wegen des atmosphärischen, fast schon souligen Gesangs von Célia Ramos (Mons Lvnae), der über allem schwebt; und drittens “Hypnotic Prophecy”, das Dank eines fetten Riffs zu Beginn und auch gerade im zweiten Songdrittel wegen der breiten Soundmasse im Hintergrund und des Gitarren- und Bassriffings richtig groovt und schließlich auch mit einem anständigen Gitarrensolo zu glänzen weiß.
Wo wir gerade bei Ruhe waren: Mit “Miracle Dance” gelingt Disaffected ein tolles, ruhiges Klavierinstrumental, das als sechstes Stück mit guten 2 Minuten Dauer die Halbzeit einläutet. Mittlerweile nicht mehr ungewohnt in der Prog-Szene haben sich diese Instrumentals etabliert und gehören schon fast zum guten Ton. Die Liedstruktur kommt deutlich heraus: schlicht-schön, und gar nicht langweilig zeigt hier Disaffected, dass die Keys einen wesentlichen Teil ihrer Musik ausmachen. Einziges Manko für mich an diesem Lied ist, dass die Keys sehr synthetisch rüberkommen.
Gesangstechnisch wird auf “Rebirth” einiges geboten, die Variabilität des Vokalisten Costa und die Custódios, der die Backingvocals übernimmt, kommt voll zur Geltung und wird teilweise auch durch Vocoder-Effekte, die den elektronischen Touch vom Intro aufgreifen, gelungen verstärkt. Rezitative Parts, die den Hörer schon fast hypnotisch einlullen und Growlpassagen wechseln sich ab. Unterstützt werden die beiden von der schon oben erwähnten Gastsängerin Ramos, die manchen Liedern eine wunderbare Stimmung gibt, auch wenn Ähnlichkeiten mit Dimmu Borgirs “Gateways” irgendwie manchmal nicht zu vermeiden sind, was die Qualität aber natürlich nicht schmälert.
Nach all dem Licht, dass auf “Rebirth” definitiv vorhanden ist, gerade wenn man auf elektronische Unterstützung des harten Metalsounds steht, gibt es auch Schatten: ich weiß wirklich nicht, was man sich dabei gedacht hat, in “Getting into the Labyrinth” dieses klassische Scherzo, was mir unheimlicherweise von irgendwoher vertraut ist, einzubauen, denn dies wirkt eher wie eine Persiflage oder schlimmer noch, Parodie der eigenen Musik. Das Gelächter, das aus dieser Passage herausgeleitet, weist darauf hin. Ich habe nichts gegen eine gesunde Portion Selbstironie, gerade im Death Metal, und ich weiß irgendwie schon, was man mir damit sagen will, und ich bin definitiv verwirrt, wie man das in einem anständigen Labyrinth auch sein sollte, aber der Drive, der das Lied ansonsten hat, wird durch dieses Überraschungsmoment zerstört. Schade ist auch, dass das Outro “Arrival”, das an die elektronische Komponente des Intros erinnert und erneut ein paar Riffs aufgreift, in diesem Jazzstandard endet. Hier hätte man mit einem Brett enden können, hat sich aber für eine, in meinen Augen weichgespülte Variante entschieden.
Fazit: Ordentliches Machwerk mit minimalen Schwächen, über die man hinweghören kann.